Ingeborg Bachmann

"In einer österreichischen Stadt"

Ihre Erzählung "Jugend in einer österreichischen Stadt" sei, so Ingeborg Bachmann, keine autobiographische Geschichte, obwohl die Stadt K. Klagenfurt ist. Aber wohl jeder, der mit Bachmanns Biographie und der Topographie Klagenfurts vertraut sei, werde - so Klaus Amann, der Leiter des Robert Musil-Instituts für Literaturforschung von 1994 bis 2014 - deshalb auch nicht zögern, Bachmanns Erzählung "Jugend in einer österreichischen Stadt" als Bruchstück ihrer Autobiographie zu lesen.

Die BesucherInnen werden von einem überlebensgroßen Porträt der Dichterin auf dem Portal des Museums "empfangen". Es stammt von dem französischen Street-Art-Star Jef Aérosol. Auch Margarethe v. Trotta, eine der wichtigsten deutschen Regisseurinnen, zeigte sich beeindruckt davon. Ihr Film "Ingeborg Bachmann. Reise in die Wüste" kommt im Herbst 2023 in die österreichischen Kinos.

Das Museum kann zum Ausgangspunkt einer individuellen Suche nach den Spuren, die Ingeborg Bachmann "in einer österreichischen Stadt" hinterlassen hat, werden. Den vielfältigen Beziehungen der Autorin zu ihrer Heimatstadt ist ebenfalls ein eigener Raum gewidmet. Der Bachmann-Raum kann gleichsam als zentraler Punkt eines Netzes von Orten und Schauplätzen verstanden werden, das sich über die ganze Stadt spannt. Dieses Netz reicht vom Wörthersee im Westen Klagenfurts, der auf jenen drei Wegen erreichbar ist, die von Ingeborg Bachmann beschrieben wurden, bis zum Friedhof in Annabichl, wo sich die Grabstätte der Autorin befindet. Der Bachmann-Raum "verweist" auf "Ausstellungsstücke" in der Stadt. 

Der schriftliche Nachlass Ingeborg Bachmanns wird seit 2014 im Literaturarchiv der ÖNB aufbewahrt und verwaltet.  Bachmann, Ingeborg (1926-1973)

Ein Blick in die Dauerausstellung des Literaturmuseums

1926 Ingeborg Bachmann wird am 25. Juni in Klagenfurt geboren. Sie ist das erste Kind von Olga (geb. Haas) und Mathias Bachmann. Die Mutter ist eine gebürtige Niederösterreicherin. Der Vater stammt aus einer protestantischen Bauernfamilie in Obervellach bei Hermagor und arbeitet als Lehrer.

1928 Die Schwester Isolde (nach ihrer Hochzeit: Moser) kommt zur Welt, 1939 wird der Bruder Heinz geboren. Die Familie wohnt bis 1933 in der Durchlaßstraße Nr. 5 (heute Nr. 35). In dem Mietshaus in der Durchlaßstraße müssen die Kinder die Schuhe ausziehen und in Strümpfen spielen, weil sie über dem Hausherrn wohnen (Ingeborg Bachmann: "Jugend in einer österreichischen Stadt", S. 85).

1932-1938 Ingeborg Bachmann besucht die Volksschule und das Bundesrealgymnasium in Klagenfurt. Im Jahr 1933 übersiedelt die Familie Bachmann in ein Haus in der Henselstraße Nr. 26 am Fuße des Kreuzbergls.

Das Haus steht seit dem Jahr 2021 im Besitz des Landes Kärnten und der Landeshauptstadt Klagenfurt. Der Ankauf ist durch die Kärnten Privatstiftung erfolgt. Man will das Haus öffentlich zugänglich und zu einem Begegnungsort der Literaturszene machen. 

Ingeborg Bachmann lebte hier bis zum Jahr 1945. In ihrer, in den Jahren 1956 und 1957 entstandenen, Erzählung Jugend in einer österreichischen Stadt "gibt" Ingeborg Bachmann den Leserinnen und Lesern auch das zweite Wohnhaus "preis": Eines Tages ziehen die Kinder um in die Henselstraße. In ein Haus ohne Hausherr, in eine Siedlung, die unter Hypotheken zahm und engherzig ausgekrochen ist.

1938-1944 Nach dem sogenannten "Anschluß" Österreichs an das Dritte Reich besucht Ingeborg Bachmann die staatliche "Oberschule für Mädchen" in der Ursulinengasse. Der "Anschluß" ist ein tiefer Einschnitt im Leben von Ingeborg Bachmann. Später sagt sie in einem Interview: "Es hat einen Moment gegeben, der hat meine Kindheit zertrümmert. Der Einmarsch von Hitlers Truppen in Klagenfurt..."

1944-1945 Ingeborg Bachmann besucht einen Abiturientenkurs der Lehrerbildungsanstalt in Klagenfurt. 1945 verlässt sie ihre Heimatstadt und geht nach Innsbruck, später nach Graz, um dort Philosophie (und Jura) zu studieren. 1946 erscheint ihre Erzählung Die Fähre in der Zeitschrift "Kärntner Illustrierte", die in Klagenfurt herausgebracht wird.

1946-1950 Fortsetzung des Studiums in Wien: Philosophie, Germanistik und Psychologie, Begegnung mit dem bedeutenden Lyriker Paul Celan, der aber nur kurze Zeit in Wien bleibt und sich schließlich in Paris ansiedelt.

1948-1949 Veröffentlichung erster Gedichte in der Zeitschrift "Lynkeus. Dichtung, Kunst, Kritik" in Wien. Der einflussreiche Autor und Kritiker Hans Weigel wird auf Ingeborg Bachmann aufmerksam. Freundschaftliche Beziehung zu der Schriftstellerin Ilse Aichinger.
In Wien gehört Ingeborg Bachmann zu jenem Kreis von Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die Hans Weigel im "Café Raimund" um sich versammelt

1949 Bachmann absolviert ein Praktikum in der Nervenheilanstalt Steinhof - heute: Psychiatrisches Krankenhaus "Baumgartner Höhe" bei Wien.

1950 Dissertation über Die kritische Aufnahme der Existentialphilosophie Martin Heideggers.

1950-1951 Reisen nach Paris und London. Dr. Bachmann arbeitet als script-writer und Redakteurin - als Kollegin von Jörg Mauthe und Peter Weiser - beim Sender "Rot-Weiß-Rot" der amerikanischen Besatzungsmacht in Wien. In diesem Gebäude befindet sich heute das Wiener Literaturhaus. Hans Werner Richter, Zentralfigur der Gruppe 47, lernt in Wien Ingeborg Bachmann kennen und liest erstmals ihre Gedichte. Verbindungen zur dieser einflussreichen Gruppe bestehen auch über den Schriftsteller Milo Dor.

1952 Hörspiel Ein Geschäft mit Träumen. Gedichtzyklus Ausfahrt im Jahrbuch "Stimmen der Gegenwart" (Wien), das von Hans Weigel herausgegeben wird. Einladung zur Lesung bei der Gruppe 47 in Niendorf an der Ostsee. Bachmanns Lesung verläuft - im Gegensatz zu jener von Paul Celan - erfolgreich. Erste Reise nach Italien.

1953 Beendigung der Arbeit beim Sender "Rot-Weiß-Rot". Bachmann erhält den Preis der Gruppe 47. Sie zieht nach Forio auf der Insel Ischia - als Nachbarin des deutschen Komponisten Hans Werner Henze - und nach Neapel. Aufenthalt in Rom. Gedichtband Die gestundete Zeit.

1954 Fördergabe des Kulturkreises im Bundesverband der Deutschen Industrie.

1955 Hörspiel Die Zikaden mit Musik von Hans Werner Henze im Nordwestdeutschen Rundfunk Hamburg. Reise nach USA zum internationalen Seminar der Harvard Summer School of Arts and Sciences and of Education, Harvard University, Cambridge. Einer der Vortragenden ist der spätere US-Außenminister Henry Kissinger.

1956 Der Gedichtband Anrufung des großen Bären erscheint.

1957 Literaturpreis der Freien Hansestadt Bremen (Rudolf-Alexander-Schröder-Stiftung) für Anrufung des Großen Bären. Bachmann wird korrespondierendes Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Gedichte Im Gewitter der Rosen und Freies Geleit. Die Gedichte werden von Hans Werner Henze vertont.

1957-1958 Dramaturgin beim Bayerischen Fernsehen in München. In dieser Zeit entsteht die Bachmann-Büste der deutschen Bildhauerin Chrysille Schmitthenner-Janssen, die im Museum ausgestellt ist.

1958 Das Hörspiel Der gute Gott von Manhattan wird als Gemeinschaftsproduktion des Bayerischen Rundfunks und des Norddeutschen Rundfunks Hamburg ausgestrahlt.

1958-1962 Mit Max Frisch in Rom und in Zürich. Die Beziehung der beiden Schriftsteller scheitert.

1959 Hörspielpreis der Kriegsblinden für Der gute Gott von Manhattan.

1959-1960 Ingeborg Bachmann wird die erste Dozentin der neugegründeten Gastdozentur für Poetik an der Universität Frankfurt am Main.

1960 Uraufführung der Oper Der Prinz von Homburg (Libretto von Ingeborg Bachmann, Musik von Hans Werner Henze) an der Hamburger Staatsoper

1961 Bachmann publiziert einen Band mit Erzählungen unter dem Titel Das dreißigste Jahr. Literaturpreis 1960/61 des Verbandes der Deutschen Kritiker (Berliner Kritikerpreis). Außerordentliches Mitglied der Abteilung Literatur der Akademie der Künste Berlin

1963 Einjähriger Aufenthalt in Berlin mit einem Stipendium der Ford-Foundation. Kontakt zu Witold Gombrowicz, der ebenfalls als Stipendiat in Berlin lebt sowie zu Günter Grass und Reinhold Lettau. Mehrere Krankenhausaufenthalte.

1964 Reisen nach Prag, Ägypten und in den Sudan mit Adolf Opel. Verleihung des Georg-Büchner-Preises durch die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt.

1965 Rückkehr nach Rom. Premiere der Oper Der junge Lord an der Deutschen Oper Berlin (Libretto: Ingeborg Bachmann, Musik: Hans Werner Henze).

1968 Großer Österreichischer Staatspreis für Literatur.

1971 Malina, als Roman zum Todesarten-Projekt gehörig, kommt heraus. Ein Jahr später erscheint der Band Simultan (Erzählungen). Verleihung des Anton-Wildgans-Preises der Vereinigung österreichischer Industrieller an die Autorin.

1973 Lesungen in Warschau und an den Universitäten Krakau, Breslau, Thorn und Posen. Fahrt zu den Konzentrationslagern Auschwitz und Birkenau. Dr. Hans Marte - heute Direktor der Österreichischen Nationalbibliothek - begleitet Ingeborg Bachmann in seiner Funktion als Kulturattaché an der Botschaft in Warschau.

Am 17. Oktober Tod nach einem Brandunfall in der römischen Wohnung. Am 25. Oktober: Beisetzung auf dem Friedhof Klagenfurt-Annabichl.

Die Werke und Briefe Ingeborg Bachmanns (Salzburger Edition). Suhrkamp und Piper Verlag

Suhrkamp Verlag

Ingeborg BACHMANN: Werke, herausgegeben von Christine Koschel, Inge von Weidenbaum und Clemens Münster, 4 Bde., München-Zürich: Piper, 1993.

Ingeborg BACHMANN: Letzte, unveröffentlichte Gedichte Entwürfe und Fassungen. Edition und Kommentar von Hans Höller, Frankfurt am Main: Suhrkamp-Verlag, 1998.

Ingeborg BACHMANN: Römische Reportagen. Eine Wiederentdeckung, herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Jörg-Dieter Kogel, München-Zürich: Piper-Verlag, 1998.

Ingeborg BACHMANN: "Todesarten-Projekt". Kritische Ausgabe. Unter Leitung von Robert Pichl, herausgegeben von Monika Albrecht und Dirk Göttsche, 4 Bde., München-Zürich: Piper, 1995.

Ingeborg BACHMANN: Bilder aus ihrem Leben, herausgegeben von Andreas Hapkemeyer mit 222 Abildungen, München-Zürich: Piper, 1992.

Ingeborg BACHMANN: Wir müssen wahre Sätze finden. Gespräche und Interviews, herausgegeben von Christine Koschel und Inge von Weidenbaum, München-Zürich: Piper, 1991.

INGEBORG BACHMANN UND PAUL CELAN Poetische Korrespondenzen. Vierzehn Beiträge, herausgegeben von Bernhard Böschenstein und Sigrid Weigel, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1997.

Ingeborg Bachmann – Das Lächeln der Sphinx. in: DU. Die Zeitschrift der Kultur, Heft Nr. 9 (September 1994) (Einzelheftverkauf für Österreich: Tel. 0501-2484876).

Uwe JOHNSON: Eine Reise nach Klagenfurt, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1974 (= suhrkamp taschenbuch 235).

Robert Musil Literatur-Museum der Landeshauptstadt Klagenfurt

Bahnhofstraße 50
9020 Klagenfurt am Wörthersee

+43 463 501429klagenfurt@musilmuseum.at

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